Patient*innenschulung – Experten für die eigene Erkrankung

Lars und das Leben mit einer autoinflammatorischen Erkrankung

Der 6Jährige Lars

Lars ist 6 Jahre alt und lebt mit seinen 2 Geschwistern Lotta (9J) und Ole (9J) in Hamburg. Bevor die Familie 2019 in unser Zentrum kam, hatte sie bereits eine aufreibende jahrelange Odyssee durch die Ärzte- und Kliniklandschaft hinter sich. Lars leidet unter einer sehr seltenen unklassifizierten autoinflammatorischen Erkrankung (AID).

Im Alter von 13 Monaten begann Lars unter immer wiederkehrenden Fieberschüben bis zu 41°C zu leiden. Ein Schub dauerte 5-6 Tage, begleitet von Bauch- und Gelenkschmerzen, offenen Stellen im Mund, Mandel- und Augenentzündungen. Während der Schübe wurde er apathisch, er konnte dann weder essen noch trinken. Während Lars in schubfreien Intervallen vollkommen flüssig sprechen konnte, begann er während den Krankheitsschüben ausgeprägt zu stottern. Sein Gesundheitszustand wurde dann so schlecht, dass er völlig hilflos war und rund um die Uhr versorgt werden musste. Für eine lange Zeit waren immer wieder Klinikaufenthalte notwendig, ohne dass eine Ursache gefunden werden konnte.

Das Leben von Lars ist durch die Erkrankung stark beeinträchtigt. Aufgrund der Fieberschübe, den Schmerzen und der Erschöpfungszustände fehlt Lars immer wieder die Kraft zur Bewältigung seines Alltags. Dies betrifft besonders das Leben im Kindergarten und damit auch sein soziales Leben. Während seiner gesamten Kindergartenzeit hatte er bereits weitaus mehr Fehl- als Anwesenheitszeiten. Nach jedem Schub musste Lars im Kindergarten wieder von vorne beginnen. Er wünscht sich nichts sehnlicher als mit den anderen Kindern zu spielen, doch es fehlt ihm das Selbstvertrauen, das Vertrauen in seinen Körper und das Vertrauen in die Umgebung, zu groß ist seine Verunsicherung durch seine Krankheit. 

Diese Erkrankungen haben Auswirkungen auf die gesamten Familie

Die Erkrankung hat aber auch Auswirkungen auf alle Lebensbereiche der gesamten Familie. Das Familienleben dreht sich hauptsächlich um Lars, während die Geschwisterkinder häufig zurückstecken müssen. Die Eltern sind voller Sorge und belastet, sodass Frau Maier ihre Berufstätigkeit aufgeben musste, um der Familie Stabilität zu geben und Lars in den häufigen schweren Krankheitsschüben über Jahre hinweg zu pflegen.

Lars mit seiner kompletten Familie

Fehleinschätzungen und Überforderungen sind häufig

Damit Lars und seine Familie auch mit der AID ein gutes Leben führen können ist es wichtig, dass sie die Erkrankung und ihre Auswirkungen auf Lars verstehen. Hierfür ist die Patient*innenschulung essentiell. Diese spielt im Zusammenhang mit seltenen Erkrankungen eine zentrale Rolle. Durch die unspezifischen Symptome und die Unbekanntheit der Erkrankung kommt es häufig zu Fehleinschätzungen und Überforderungen der Kinder und Jugendlichen, wie auch bei Lars. Damit sich Lars seiner Umgebung mitteilen kann, muss er lernen seine Symptome einzuschätzen. Wenn er weiß, dass Erschöpfung zu seiner Erkrankung gehört, kann er dies in entsprechenden Situationen im Kindergarten ausdrücken und sich einen ruhigen Platz suchen um sich auszuruhen. Die Eltern müssen lernen die Symptome und deren Auswirkungen mit den Erzieher*innen zu kommunizieren, damit die wiederum Lars` Verhalten einordnen und verstehen können. Später müssen die Schulen informiert und auch die Lehrer*innen geschult werden, wenn sie Verständnis für Lars haben sollen, um ihm die Teilhabe an Bildung ermöglichen zu können. Das Lernen über die Erkrankung, sie zu verstehen und auch darüber sprechen zu können ist ein wichtiger Baustein der Patient*innenschulung. 

Die Patient*innenschulung von Kindern und Jugendlichen mit seltenen, autoinflammatorischen Erkrankungen sowie ihren Familien stellt einen wesentlichen Teil der Arbeit des Psychosozialen Dienstes des autoinflammation reference center Tübingen (arcT) dar.

Aus einer umfassenden medizinischen Behandlung ist die Patient*innenschulung nicht wegzudenken. Die Kinder, Jugendlichen und ihre Familien werden altersentsprechend über ihre Erkrankung und die Behandlung informiert mit dem Ziel einen selbstverantwortlichen Umgang mit der Erkrankung und ihren Auswirkungen entwickeln zu können. Sie ist ein zentraler Bestandteil auf dem Weg der Krankheitsbewältigung hin zu einer guten Lebensqualität mit einer seltenen Erkrankung. Dies gilt besonders dann, wenn das Umfeld die Erkrankung nicht einschätzen kann. 

Mit Hilfe der Patient*innenschulung können die Kinder und Jugendlichen und auch deren Familien –  eine chronische Erkrankung betrifft immer die gesamte Familie – in ihrer individuellen Krankheitsbewältigung, ihren Selbstmanagementfähigkeiten, ihrem eigenverantwortlichen Umgang mit Erkrankung und Therapie unterstützt werden. Sie lernen alles über die Erkrankung und was in ihrem Körper passiert, warum eine medizinische Behandlung notwendig ist und wie diese funktioniert. Sie lernen die Symptome der Erkrankung einzuschätzen, was sie im Alltag dagegen tun können, was ihnen gut tut. Vor allem lernen sie eigene Worte für ihre Erkrankung zu finden, dafür wie es ihnen in ihrem Leben damit geht. Je besser sie selbst darüber Bescheid wissen, desto leichter können sie mit den Menschen, mit denen sie ihren Alltag verbringen, egal ob in der Familie, im Kindergarten, in der Schule, mit Freund*innen oder im Beruf, darüber reden. Ziel ist die Kinder und Jugendlichen mit ihren Familien zu Expert*innen in Sachen Erkrankung zu machen, damit sie ein gutes Leben führen können, in dem die soziale Teilhabe möglich ist.

Wir danken allen Spendern und Spenderinnen, die geholfen haben dieses Projekt zu ermöglichen!